Die zweite Welt - In Weißrussland ist die Rockmusik der Klang des Aufbruchs

Beigesteuert von Ingo Petz / Süddeutsche Zeitung / 01.10.2006

Es regnet, als der Bus durch den weißrussischen Osten schaukelt. Die Landschaft verwischt in der Abenddämmerung. Die Band Krambambulja ist auf dem Weg zum Auftritt. Ihre Musik bedeutet für viele im Land ein Stück Freiheit, Hoffnung, aber auch Spaß.

Und tatsächlich fühlt man sich neben den Musikern wie in einer Raumkapsel in einem fremden Universum. "Nach den Protesten im März konnten wir nicht mal mehr arbeiten. Für Wochen. Und das ging allen so. Aber dann haben wir uns damit abgefunden. Das Leben geht weiter. Wir arrangieren uns. Wir wollen ja nur Musik machen", sagt einer der Musiker, der seinen Namen nicht in der Presse lesen möchte. Die anderen lachen. Niemand spricht hier gern über die politische Situation. Oder über die kleine, zerbrechliche Parallelwelt, die sie abseits des Staates schaffen. Umso wichtiger ist diese Fröhlichkeit: "Wir brauchen unsere Kraft für die Kreativität."

Trinklieder im Fleischkombinat

Ein selbstbestimmtes, staatsferne Leben ist rar in Weißrussland. Fast ein halbes Jahr ist nun vergangen seit den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen auf dem Oktober-Platz in Minsk. Es war ein kurzes, aber leidenschaftliches Lebenszeichen derjenigen, die für ein anderes Weißrussland eintreten. Dann zog wieder trügerische Stille ein in die weiten, sauberen Straßen der Stadt. Wohin sind die Proteste verschwunden? Wo halten sich Reste von Aufbegehren? Das soll diese Reise erkunden.

Die Tour mit Krambambuli ist ein guter Start, denn der weißrussischer Musik gelingt, was die politische Opposition nicht schafft. Sie erreicht die Menschen, trotz Auftrittsverbote, trotz fehlender Werbung. Sie spricht eine Sprache, die die Politiker nicht beherrschen. Dabei verstehen sich die meisten Bands nicht politisch, für den Staat und die Opposition sind sie das allerdings sehr wohl. Und so fühlen sich viele Musiker aufgerieben zwischen dem Publikum, das in ihnen oft die Botschafter einer politischen Veränderung sieht, der künstlerischen Unabhängigkeit, und den wenigen Auftrittsmöglichkeiten, die der Staat ihnen lässt. "Viele Konzertveranstalter bitten das Publikum, keine weiß-rot-weißen Flaggen, also das Symbol der Opposition, bei den Konzerten zu zeigen", erzählt ein Journalist: "Nur so gibt es überhaupt noch Auftritte."

Das Konzert in Mogilew ist ein bestellter Gig. Ein Chef des örtlichen Fleischkombinats hat Geburtstag. Die Gäste schauen mit ernsten Mienen auf die Band. Zwei Welten treffen aufeinander, hier in diesem kleinen Restaurant. "Die waren wohl etwas erschrocken, dass wir weißrussisch singen", kommentiert der Gitarrist später. Krambambulja lassen sich nicht beirren, spielen ihren beschwingten Ethno-Pop, ihre seltsamen Trinklieder und lächeln, lächeln, lächeln. Aber erst als sie ihren Hit "Gosci" anstimmen, trauen sich einige Gäste auf die Tanzfläche.

In Weißrussland, wo das Weißrussische nach gängiger Meinung zu nichts Großartigem taugt und das Russische dominiert, sind solche Lieder eine kleine Revolution - ohne Fahnen, ohne Farben. "Gosci", Gäste, ist ein tanzbares Popstück, mit einem albernen Text über Wodka, Panzer und Touristen, aber nicht über Politik. ( Video im Multimedia-Archiv ) Und doch: das schöne Stück wird auf Weißrussisch gesungen, eine Sprache, die im allgemeinen nicht als die Sprache des Pop gilt, sondern als die der Bauern und der Opposition. Das beschwingte Stück aber ist bis in die Häuser der Menschen vorgedrungen. "Ganz sicher singen es auch Beamte in der Präsidialverwaltung", sagt ein Gast auf der Party. "Es ist eines von drei weißrussischen Liedern, die fast jeder kennt", sagt Hanna Volskaja. Sie ist die Frau des bekanntesten Songschreibers im Land, Lavon Volski, des Mannes, der "Goscy" vor drei Jahren geschrieben hat.

Er mag seine Muttersprache, und als Künstler schmerzt es ihn, dass sie so wenig populär ist und kaum gefördert wird. Volski ist der wohl erfolgreichste Menschenfänger und Brückenbauer im Land. Allein das macht ihn in den Augen des Staates zum Revolutionär. N.R.M., eine seiner Bands, ist mehr oder weniger verboten, tritt auf Demonstrationen der Opposition auf - mit einer direkten Botschaft. "Wir siegen", singen sie in einem neuen Lied. Krambambulja sind nicht verboten, obwohl sie in einem zerfurchten Land einen viel revolutionäreren Auftrag haben. Sie bringen die Menschen zusammen. Kunststücke wie "Gosci" zeigen dies. Es sind solche Erfolge, die Musiker wie Volski leben und hoffen und ihn die Politik der Opposition vermissen lassen. Ihm gehe es vor allem um seine Kultur, sagt er, und dass er sich mit seiner Liebe zum Weißrussischen und seiner Musik manchmal wie in einer Traumwelt vorkomme. Selbst in seiner Band. Er ist der einzige, der fließend Weißrussisch spricht.

Am besten kann man die Traumwelt des Weißrussischen im Nachbarland, in der polnischen Kleinstadt Grodek nachspüren. Dort findet, 40 Kilometer östlich von Bialystok, jedes Jahr das größte weißrussische Rockfestival statt. Seit 17 Jahren gibt es "Basowicza" schon, und für viele Weißrussen ist es ein fast mythischer Ort. Jahr für Jahr pilgern Tausende hierher, um verbotene weißrussische Musik zu hören. Über dem bunte Zeltstädtchen weht die weiß-rot-weiße Flagge. Ein bisschen ist dieses Basowicza also ein Symbol für das imaginäre Land, von dem gerade die urbane weißrussischsprachige Jugend träumt.

"Man muss kämpfen!"

"Hier tanken wir auf", sagt Aljaksandr, ein Student aus Minsk. "Ich weiß zwar, dass die Hoffnung auf Freiheit kaum Chancen hat, aber ich will daran glauben. Lukaschenko ist keine Perspektive. Das Schlimmste ist, nach den zwei Tagen hier wieder nach Minsk zurückzukehren. Ich bin dann regelmäßig für eine Woche nicht zu gebrauchen. Viele aber reden hier noch über die März-Proteste. Sie haben uns näher zusammengebracht, ohne dass daraus gleich eine riesige Bewegung entstanden wäre. Es war, als sei Basowicza für ein paar Tage in Minsk gewesen." Es ist das Manifest, auf das sich die lose Bewegung "Za Svabodu/Für die Freiheit" beruft, die aus den Protesten hervorgegangen ist und die sich kritisch gegenüber der "zu lethargischen", "alten Parteiopposition" positioniert.

Als der Rapper Krou von der Gruppe CpB (Chyrvonym pa belamu) seine Wut zu harten Beats in die Nacht schreit, scheint die Luft zu brennen. "Zyve Belarus", "Es lebe Weißrussland!", schreit das Publikum. Immer wieder, als sollte man es bis Minsk hören. Später reißt sich der hagere Rapper seine Maske vom Gesicht. "Das habe ich zum ersten Mal gemacht", sagt er nachher. "Die trage ich aus Sicherheitsgründen, aber ich wollte meinen Fans zeigen, dass man mutig sein muss. Man muss kämpfen."

INGO PETZ

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.226, Samstag, den 30. September 2006 , Seite 17



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